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Das höfliche Stachelschwein

Ein Stachelschwein, recht frech und klein,

trifft Sonntag früh ein Gnu.

Das Gnu denkt baff: "Nanu?

Wie schrecklich plump, kugelrund und hässlich!

Zu grinsen erscheint mir unerlässlich.

Doch ich will das unscheinbare Tier nicht kränken.

Nur edlen Geschöpfen die Götter Schönheit schenken.

O Stachelschwein, du dauerst mich,

die Welt dreht sich auch ohne dich."


Derweil das Stachelschwein innerlich unsäglich leidet,

da der Anblick jenes Gnus ihm tief ins Herz einschneidet.

"Ach, Gnu", denkt es mitleidig und blinzelt immerzu.

"Wozu, mein armes, gedemütigtes Gnu, lebst du?

Dich anzusehen verursacht mir wahre Krämpfe,

so dass ich mühsam um meine Beherrschung kämpfe.

Fortuna hat ihr Füllhorn leidet nicht über dich geleert.

Die Natur eben nur edlen Geschöpfen Anmut beschert."

Und beide Tiere besonders freundlich sich zunicken,

wobei sie kummervolle Seufzer zum Himmel schicken.

Und nachher, als sie prustend ihres Weges marschieren,

sie sich selber zu ihrer höflichen Haltung gratulieren.

© 1999 Helga Kochert. Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved