Kocherts Tier Monsterschüler


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Carmens Eltern glaubten, ihre Tochter ginge nach anfänglichen Schwierigkeiten gerne in die Schillerschule von Großglockstadt. In Wahrheit wollte sie nur Nikita sehen. Aus diesem Grund versäumte sie keinen Schultag, kleidete sich auffällig und schaffte es, in der Schulmensa an trockenen Brötchen zu nagen, für den Fall, ihr Typ sollte dort auftauchen. Mit der molligen Sandra und der schwarz haarigen Mia verband sie eine lockere Freundschaft, um vom Schulklatsch nicht ausgeschlossen zu sein. Bald wurde ihr klar. Wer Nikita beschatten wollte, musste eine gewitzte, sportliche und einfallsreiche Person sein. Es war wie verhext. Eben saß der geheimnisvolle Junge noch an einem Computer, im nächsten Augenblick war er verschwunden. Am meisten verwirrte es sie, dass Nikita ein Streber war. Kontakte zu Mitschülern schienen ihn wenig zu interessieren. Er zog es vor, für sich alleine zu sein und nutzte jede Sekunde, den erarbeiteten Lehrstoff zu wiederholen. Sie begegneten sich nie mehr auf dem Schulweg. Und sie war sich sicher, Mädchen waren Nikita egal. Wie sollte sie da Erfolg bei ihm haben? Wenn ihr jetzt nicht ein Zufall half, wäre ihr Versuch, sich mit dem Jungen anzufreunden, gründlich gescheitert. Aber sie hatte Glück. Der Drucker zeigte eine Störung an. "Kein Papier", murmelte Frau Klemm ärgerlich. "Carmen, hilfst du mir mal, neues Kopierpapier aus dem Keller zu holen?", fragte sie in Eile. Sie hasteten eine unbekannte Treppe hinunter. Ihre Lehrerin öffnete eine schwere Brandschutztür, dahinter lag ein langgezogener Keller mit düsterer Beleuchtung. In einem Wandregal lagerten verpackte Papierstapel. Während Carmen sich einen der Stapel schnappte, hörte sie, wie die wuchtige Brandschutztür leise aufschwang. Sie blickte hin und erspähte Nikitas blasse Gesichtszüge in dem Türspalt. Erschrocken zuckte der Junge zurück, und die Tür schloss sich so leise wie möglich.

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