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So sehr sich Carmen auch den Hals verrenkte, von Nikita war keine Spur mehr zu sehen. Als sie genervt die
Mensatür von innen aufstieß, prallte sie gegen Sandra, die es eilig hatte, den Raum zu betreten. Die beiden Freundinnen begrüßten sich mit "Hi!" und "Wo
hast du die ganze Zeit gesteckt?" Sandra rief anklagend: "Hast du meine SMS nicht gecheckt?" "Ne. Aber
ich schau gleich mal nach." Schuldbewusst griff Carmen nach ihrem Handy. "Verbände anlegen war heute nicht mein Ding", log sie leichthin, denn sie durfte nicht verraten, was
sie anstelle der Erste-Hilfe-AG unternommen hatte. "Diese Kopfverbände sind absolut stressig", stimmte Sandra ihr zu. "Ich brauche unbedingt eine Auszeit." Sie lachte
gackernd. "Mal sehen, ob ich noch einen Früchtebecher erwische, um mich aufzuheitern. Bis morgen!" "Bis morgen!" Die beiden Freundinnen winkten sich zu, bevor sie
auseinander stoben. Erleichtert hastete Carmen über den langen Flur nach draußen, überquerte mit hochgezogenen Schultern den Schulhof und schlug den Heimweg
ein. Mit raschen Schritten näherte sie sich ihrem Ziel, dem Haus Nr. 7 in der Lilienstraße. Oft schon war sie hier vorbeigegangen. Noch nie war ihr irgend etwas Bemerkenswertes
an diesem Haus aufgefallen. Jetzt, da sie wusste, Nikita wohnte hier, sah sie dieses Traumhaus allerdings mit ganz anderen Augen, sozusagen mit Stielaugen oder mit Röntgenblick. Eine
schwarze Katze hockte auf der oberen Treppenstufe vor der Haustür. Ihre grünen Augen leuchteten rätselhaft. Carmen stand vor dem Gartentor und las das
Namensschild am Briefkasten: "Bindel." Wieso Bindel und nicht Krähenschreck? Sie überlegte, ob sie beherzt klingeln und nach einem Nikita fragen sollte.
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